ES GILT DAS GESPROCHENE WORT
Liebe Hembergerinnen, liebe Hemberger
Liebe Festgemeinde
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,
Heute Abend versammeln wir uns hier in Hemberg, um gemeinsam unseren Nationalfeiertag, den 1. August, zu feiern. Es ist ein besonderer Tag, an dem wir die Gründung unseres schönen Landes Schweiz würdigen und uns bewusst machen, was uns als Gemeinschaft verbindet.
Mir fällt die Ehre zu, an sie ein paar Gedanken dazu zu richten. Die Einladung zu euch nach Hemberg hat mich sehr gefreut und geehrt. Wohnhaft auf dem Bendel, bin ich mit dem Hemberg eng verbunden.
Der 1. August erinnert uns an die Entstehung unseres Bundes, geht auf den Bundesbrief von 1291 zurück. Also auf das wichtigste Gründungsdokument der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Damals schliessen Uri, Schwyz und Unterwalden ein gemeinsames Bündnis für Frieden, Freiheit und Selbstbestimmung.
Es lohnt sich, diesen Bundesbrief immer mal wieder zu lesen. Es ist nicht viel Text. Es handelt sich um ein einziges Pergament, nicht grösser als eine A4-Seite. Es gelang damals, auf einer A4 Seite alle wichtigen Punkte festzuhalten. Etwas, was heute unvorstellbar ist. Aber es gelang, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, und sich nicht in Nebensächlichkeiten zu verlieren. Das beeindruckt und berührt mich. Und das Dokument ist für mich auch immer wieder Vorbild, sich auf’s Wesentliche zu fokussieren. Wir sollten nur das Regeln und Festhalten, was wirklich wichtig ist. Und uns nicht in Nebenschauplätze verirren.
Das Zentrale an diesem Brief: Es handelte sich um ein Schutzbündnis der drei damaligen Gebiete Uri, Schwyz und Unterwalden im «Hinblick auf die Arglist der Zeit», wie es wörtlich heisst.
«Arglist der Zeit». Eine schöne alte Formulierung.
Damit waren die schwierigen Zeitumständen, äussere Bedrohung, die Unsicherheit, die politischen Spannungen, aber auch böswillige Täuschungen, Unehrlichkeit, Falschmünzerei gemeint. Und dieser Ausdruck beschreibt die Herausforderungen und Versuchungen, denen wir im Lauf der Geschichte begegnet sind. Es ist eine Mahnung, wachsam zu bleiben, unsere Werte zu bewahren und uns nicht von kurzfristigen Interessen oder falschen Versprechungen blenden zu lassen.
Der Begriff kam mit in den letzten Monaten immer wieder in den Sinn – ich meine, wir haben es auch heute viel mit «Arglist der Zeit» zu tun!
Wir leben wieder in einer sehr unsicheren Zeit, es sind schwierige Zeitumstände. Ich glaube, viele von uns sind auch verunsichert. Mir geht es oft so, dass ich am Morgen den Radio gar nicht anschalten mag. Ertrage ich schon am Morgen all das Elend dieser Welt? Seit über drei Jahren tobt der Ukraine-Krieg. Frieden in Europa ist keine Selbstverständlichkeit mehr. Dazu kommen weitere Konflikte, vor allem im Nahen Osten.
Und fast jeden Tag die Frage: Welche Neuigkeiten kommen aus den USA? Die Zoll-Neuigkeiten heute morgen ein Schock. Warum wird unser Land plötzlich mit 39 % Zölle richtig «abgestraft». Die USA betreibt keine Politik der gewohnten Abmachungen mehr. Es gilt nur noch «ein Deal» und die «Macht des Stärkeren». Man weiss nicht, wohin die Reise geht mit den US-Zöllen. Dieses Hin und Her verunsichert die Unternehmen, die ganze Wirtschaft und damit auch uns.
Dann erleben wir den Druck der EU, ein neuer Vertrag soll die bisher guten Beziehungen ablösen und uns näher an Brüssel binden. Was wirklich darin steht, wissen wir erst seit kurzem. Was sie für unser Land bedeuten – noch sehr viel Unklarheiten.
Doch damit nicht genug: Plötzlich taucht KI – Künstliche Intelligenz auf. Eigentlich etwas Gutes, doch ich bin überzeugt, das wird die Welt nochmals tiefgreifend verändern. Denn damit kann noch mehr verändert werden. Immer mehr fragt man sich – vor allem auch in den sozialen Medien: Was stimmt noch? Was ist noch echt? Gibt es dieses Bild auch in Wirklichkeit? Wem kann ich glauben?
Oder werden wir arglistig getäuscht?
Kriege, Konflikte, Erpressungsversuche, Unsicherheit, Zoll-Chaos, Fake News. Ja, wir hatten schon gemütlichere Zeiten.
Gerade in so fragilen Zeiten ist es wichtig, wieder etwas Stabilität unter den Füssen zu bekommen. Stand zu haben. Standhaft bleiben. Wer einen sicheren und guten Stand hat, ist stabiler, ist agiler, hat mehr Übersicht. Um standhaft zu bleiben, müssen wir aber zuerst bei uns anfangen. Schauen, dass unsere Wurzeln, unsere Füsse und Beine stabil sind. Wir müssen schauen, dass möglichst jeder auf seinen Füssen stehen kann und sein Leben meistert. So wie es bei uns die meisten machen. Und in einer Gesellschaft mit vielen «stabilen» Menschen hilft man auch denen, die Unterstützung benötigen und schaut, dass sie wieder «auf die Beine kommen».
Standhaftigkeit braucht aber auch unser Land, unsere Gesellschaft, unsere Wirtschaft. Damit meine ich unsere Institutionen, unsere Politik, unser Zusammenleben.
Wir dürfen in einem Land leben, wo es uns im Vergleich zu ganz vielen anderen sehr gut geht. Wir haben einer der höchsten Lebensstandards. Haben eine sehr hohe politische und wirtschaftliche Stabilität. Leben friedlich miteinander. Leben in einer wunderschönen Natur. Das erfüllt mich immer wieder mit Dankbarkeit und Demut.
Das hat aber auch seine Gründe. Die Werte und Wurzeln der Schweiz sind stark, unsere demokratischen Institutionen einzigartig. Unser Land ist nicht zentralistisch, sondern kleinräumig, föderalistisch organisiert. Die Demokratie eint die unterschiedlichen Sprachen und Kulturen. Im Gegensatz zu anderen Ländern hat bei uns das Volk das letzte Wort – es ist die oberste Instanz. Weder Politiker noch Wirtschaftskapitäne bestimmen, sondern der einfache Bürger sagt, wo es langgeht. Und die Freiheit und die Selbstbestimmung prägen uns seit Jahrhunderten.
Diese Werte und Wurzeln haben wir unseren Vorfahren zu verdanken. Und eigentlich können wir bis ganz zurück zum Bundesbrief gehen, 1291. 1291 war der erste Schritt. Der Schritt zum Bündnis. Zum Bekenntnis, dass man sich hilft, aber doch frei sein will. Dieses Bündnis war mehrmals in Arger Bedrängnis, musste immer wieder verteidigt, aber auch weiterentwickelt werden.
Z.B. bei der Schlacht am Morgarten, 1315, der erste und wichtige Sieg der Eidgenossen gegen die Grossmacht Habsburg gab unserem damals noch jungen Bund Zuversicht und Selbstvertrauen. Morgarten steht aber auch für Selbstbestimmung und Freiheit und dafür, dass man für diese Grundsätze einstehen und kämpfen muss. Marignano, 200 Jahre später, 1515, steht für einen weiteren wichtigen Einschnitt. Die verlorene Schlacht beendete die Expansionsgelüste der alten Eidgenossenschaft und kann als Geburtsstunde der Neutralitätspolitik unseres Landes betrachtet werden, welche mit den Entscheiden des Wiener Kongresses 1815 auch offiziell in Europa anerkannt wurde.
Oder dann der wichtige Schritt 1848, die Schaffung der modernen Schweiz. Ich habe mich in den Sommerferien wieder mal etwas mit der Entstehung des Bundesstaates auseinandergesetzt und war wiederum beeindruckt: Da wurde 1847 nach dem Sonderbundskrieg, wo die Eidgenossen gegeneinander kämpften, eine Kommission aus 23 Mitgliedern aus allen Kantonen eingesetzt und dies erarbeiteten in 51 Tagen in 31 Sitzungen unsere Verfassung. Wenn ich da an die vielen, oft langwierigen Sitzungen in Bundesbern denke, kann ich das kaum noch glauben. Und das in einer Zeit ohne moderne Kommunikationsmittel. Diese 23 Männer waren visionär, eigenständig und ihnen sollten wir grössten Respekt zollen. Sie haben die Grundlage für die moderne Schweiz gelegt. Und sie haben an sehr vieles gedacht: Den Föderalismus, den Ausgleich unter den Kantonen. Zweikammersystem. Erste Ansätze der direkten Demokratie. Sie haben uns Freiheit, Sicherheit und Stabilität gebracht.
Aber die Geschichte der alten Eidgenossenschaft wie auch die Geschichte der modernen Schweiz zeigen: Es hat auch schwierigere Zeiten gegeben. Es hat sogar viel grössere Bedrohungen gegeben als heute. Denken wir nur an die beiden Weltkriege. Aber die Schweiz hat immer auf sich und ihr Fundament vertraut: Wir wollen frei sein und selber bestimmen. Dieser Weg war vielleicht nicht immer der Einfachste, aber er war längerfristig gesehen der Erfolgreichste. Gerade am heutigen Tag, sollten wir uns das vor Augen führen.
Die Geschichte zeigt beispielhaft, wie sich unser Land stets bemühte, das Beste aus jeder Situation zu machen. Sie zeigt aber auch, dass es immer wieder um das Gleiche ging: Den Erhalt der Freiheit, Selbstbestimmung, Unabhängigkeit und Identität. Ein Land, welches es – ohne Rohstoffe und mit beschränkter fruchtbarer Fläche – geschafft hat, zur wettbewerbsfähigsten Volkswirtschaft der Welt zu werden. In so schwierige Situation stecken wir auch aktuell mit der Zoll-Diskussion mit den USA oder dem allfälligen Rahmenvertrag mit der EU. Da sollten wir uns grundsätzlich überlegen, was unsere Werte sind, was unser Fundament ist, was uns zu dem gemacht hat, das wir sind und ob wir das für kurzfristige Gewinne aufgeben wollen.
Wer die Vergangenheit kennt, kann die Gegenwart verstehen und die Zukunft gestalten. Nur wer mit beiden Beinen stabil auf dem Boden steht, kann standhaft bleiben. Gegen innen und gegen aussen.
Ich wünsche mir zum 1. August, dass wir diese Standfestigkeit, die wir in der Vergangenheit hatten, wieder mehr zum Vorschein nehmen. Dass wir uns wieder mehr auf unsere Wurzeln besinnen, die uns Halt geben, die Stabilität bedeuten, die uns zu dem gemacht haben, was wir heute sind.
Dafür eignet sich gerade der 1. August hervorragend. Unser Nationalfeiertag. Wir feiern diesen dezentral, jeder in seinem Dorf, überall kleine Ferien. Ganz unterschiedlich. Gestern war ich im BBC in Gossau, ein Ausgehlokal. Es gab eine unkomplizierte Feier für Jung und Alt. Heute morgen fanden an vielen Orten Brunches statt und heute Abend in jedem Dorf eine kleine Feier. Mit Politikern oder ohne. Oft eine Ansprache von Bürgerinnen oder Bürgern. Einfach zusammen sein, die Gemeinschaft pflegen. Eine Wurst essen. Musik geniessen.
Das ist gerade in diesen unsicheren Zeiten wichtiger denn je. Es gibt Halt. Es gibt Standhaftigkeit. Es gibt Zuversicht. Damit trotzen wir der «Arglist der Zeit.»
Es zeigt uns das reale Leben mit echten Gesprächen und Beziehungen. Ohne Likes, dafür mit viel Augenkontakt und hoffentlich den einem oder anderen Lachen heute Abend! Ich wünsche uns daher allen ein frohes Fest! Auf die Schweiz! Auf unsere wunderschöne Heimat. Bleiben wir Standhaft.

