Rede zum 1. August 2017 in Wildhaus.
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Schwingertugenden sollen uns wieder mehr prägen
Ansprache zum 1. August 2017 von Esther Friedli, Ebnat-Kappel
Wildhaus, 1. August 2017
ES GILT DAS GESPROCHENE WORT
Liebe Wildhauserinnen, liebe Wildhauser
Liebe Gäste aus Nah und Fern
Liebe Festgemeinde
Heute, am 726 Geburtstag der Schweiz, fällt mir die Ehre zu, einige Worte und Gedanken zum Geburtstag
der Schweiz an Sie zu richten. Ich möchte mich bei den Bergbahnen Wildhaus ganz herzlich für die
Einladung und vor allem auch für die Ausrichtung dieser Feier bedanken.
Der 1. August ist der Nationalfeiertag unseres wunderschönen Landes. Er gibt Anlass, zurückzuschauen,
innezuhalten, dankbar zu sein und zusammen zu feiern. Wir blicken auf 726 Jahre Eidgenossenschaft
zurück. Auf 726 Jahre Einstehen für Unabhängigkeit, Freiheit, Sicherheit und Neutralität. Einstehen, für
unser Land, das geprägt ist von einer wunderschönen Landschaft, einem einmaligen politischen System
und dem Willen, als ressourcenarmes Land Wohlstand zu erlangen.
Vor 726 Jahren haben drei Männer die Unabhängigkeit und Freiheit der Schweiz mit einem Schwur und
Bund auf dem Rütli besiegelt. Auch wenn dies für manch einer nur eine Sage oder eine schöne Geschichte
von Friedrich Schiller ist, ich glaube daran, dass sich vor 726 Jahren mutige Männer gewagt haben, gegen
die Untertanenschaft zu rebellieren, aufzubegehren und sich zu wehren. Sie haben bereits damals
realisiert, dass die Monarchie keine gute Staatsform ist und wir Schweizerinnen und Schweizer nicht von
fremden Mächten regiert werden wollen. Wir wollen frei sein, wir wollen selber bestimmen können – das
prägt uns seit vielen Jahrhunderten. Die letzten 726 Jahre waren für unsere Vorfahren daher nicht immer
leicht, es wurde viel Blut und Schweiss vergossen, damit die Schweiz das ist, was sie heute ist: Eines der
erfolgreichsten Länder der Welt mit einem sehr hohen Wohlstandsniveau. Wir dürfen daher gerade an
einem 1. August stolz und dankbar sein, was unsere Vorfahren erreicht und für uns geschaffen haben.
Unserem Land geht es gut. Seine Werte und Wurzeln sind stark, seine demokratischen Institutionen
einzigartig. Die Demokratie eint die unterschiedlichen Sprachen, Kulturen, aber auch Stadt und Land. Im
Gegensatz zu anderen Ländern hat bei uns das Volk das letzte Wort – es ist die oberste Instanz. Diese
Werte und Grundsätze – direkte Demokratie, Föderalismus, Milizsystem, Unabhängigkeit und Neutralität –
gilt es immer wieder aufs Neue zu verteidigen und dafür zu kämpfen, dass sie erhalten bleiben.
Aufgrund der vielen Besucherinnen und Besucher von ausserhalb der Schweiz hat man mich gebeten,
Hochdeutsch zu sprechen – oder zumindest einen Teil der Rede. Ich wechsle daher jetzt im Hauptteil auf
Hochdeutsch und hoffe, dass dies alle verstehen.
Ich möchte in meinen Ausführungen auf einen weiteren Schweizer Wert oder auch eine Tugend eingehen,
die mitverantwortlich ist, dass es uns heute so gut geht und dass die Schweiz das ist, was sie ist:
Gegenseitiger Respekt, Bescheidenheit und Anstand. Man sagt, Anstand und Bescheidenheit seien
typische eine Schweizer Tugenden. Darauf dürfen wir stolz sein.
Am besten lassen sich diese Tugenden an unserem Nationalsport, dem Schwingen aufzeigen. Denn dieser
Sport, der auf den Alpen seit Jahrhunderten ausgeführt wird, Teil unserer Festkultur ist, seine Wurzeln
wie die Gründung der Schweiz im 13. Jahrhundert hat, hat viel mit dem Charakter von uns Schweizerinnen
und Schweizer zu tun.
Beim Schwingen – das ähnlich ist wie Ringen – stehen sich zwei Männer oder auch Frauen in einem
Sägemehlkreis gegenüber und kämpfen, wer der Stärkere ist. Gewonnen hat, wer den anderen zuerst auf
die Schultern gelegt hat. Dazu gibt es verschiedene Hauptschwünge – so der Brienzer, der Kurz, der
Übersprung oder der Wyberhacken. Wichtig sind dabei einige Rituale, auf die ich nun kurz eingehen
möchte:
1. In den Ring gehen und sich per Handschlag begru?ssen
Wenn die beiden Schwinger in den Sägemehlring gehen und bevor der Kampf beginnt, begrüssen sie sich
per Handschlag. Ich finde dies ein wichtiges Ritual – nicht nur im Sägemehl: Man trifft Menschen und
bevor man mit einer Diskussion oder einem Gespräch beginnt, begrüsst man sich, man gibt sich die Hand.
Damit zollt man dem Gegenüber Respekt, Aufmerksamkeit und symbolisiert, ich komme „in friedlicher
Absicht“. Denn der Handschlag ist auch ein Zeichen des Friedens und der Versöhnung. Bereits die Römer
kannten das H.ndeschütteln als Zeichen der Eintracht. Und er ist auch ein Zeichen unserer westlichen
Kultur, bei uns in der Schweiz begrüsst man sich so. Und bei uns geben sich Frauen und Männer die Hand.
Leider stelle ich immer wieder fest, dass das sich Begrüssen verloren geht. Oder man beginnt zu
tolerieren, wenn jemand anderen den Handschlag verweigert, z.B. ein Mann einer Frau. So etwas dürfen
wir bei uns nicht zulassen. Wer den Handschlag verweigert oder nicht akzeptiert, der soll bitte unser Land
verlassen.
2. Fairer Kampf im Sägemehl
Im Sägemehlring fassen sich die beiden Schwinger bevor sie beginnen, an den Schwinghosen. Dabei gibt
es klare Regeln, was erlaubt ist und was nicht. Beginnt der Kampf, achtet ein Platzkampfrichter auf dem
Platz und zwei Kampfrichter daneben, dass alles mit fairen Mitteln zu und hergeht. Das Schwingen im
Sägemehl kann in der Politik mit dem Ringen um die besseren Argumente verglichen werden. So sagt man
umgangssprachlich oft, man steigt in den politischen Ring oder die politische Arena. Dort debattieren
Personen unterschiedlicher Meinungen miteinander, es ist der Kampf der Argumente. Leider geht diese
Debattenkultur bei uns immer mehr verloren. Das sich direkte auseinandersetzen mit dem politischen
Gegner weicht einer Diskussionskultur in den sozialen Medien. Diese virtuellen Diskussionen auf
Facebook, Twitter und in den Kommentarspalten der grossen Zeitungen und Newsplattformen bieten viel
Anonymität. Es geht nicht um das Zuhören und Abwägen der Argumente oder auf das Eingehen, was der
andere sagt resp. schreibt. Nein, es geht um das breite und leider oft unflätige Kundtun seiner Meinung.
Diese etwas Verrohung der Diskussionskultur in den sozialen Medien hängt auch damit zusammen, dass
man sich dort vor Diskussionsbeginn nicht die Hand schütteln muss, man muss dem Gegenüber nicht in
die Augen schauen. Damit schwinden auch der Respekt und der Anstand und man kann sich hinter sog.
Nicknames verstecken. Zudem flu?chten wir uns auf den sozialen Medien in Umgebungen, wo wir uns vor
allem mit gleichgesinnten Befreunden. Es entstehen sog. Filterblasen, wo man immer weniger mit den
Argumenten der anderen konfrontiert wird. Diese Entwicklung beschäftigt mich oft und ich frage mich,
was wir dagegen tun können. Ein Rezept habe ich noch nicht gefunden, Aufhalten können wir sie wohl
nicht, aber etwas Gegensteuer geben, etwas mehr Diskussion in einer realen Welt, Auge in Auge – so wie
heute an dieser Feier – meine ich, sollten wir schon.
3. Der Stärkere gewinnt
Wie im Schwingen gewinnt auch in der politischen Arena und in der Debatte einmal der eine, einmal der
andere. Oder es gibt einen „Gstellten“ – einen ausgeglichenen Kampf ohne Sieger. Das Resultat wird
akzeptiert und am Schluss wischt der Sieger beim Schwingen dem Verlierer das Sägemehl von den
Schultern. Der Sieger freut sich u?ber seinen Sieg, bleibt aber meistens Bescheiden und wird von seinen
Schwingerkollegen als Zeichen der Anerkennung auf die Schultern gehievt. Dies alles sind Gesten des
gegenseitigen Respekts.
Wir können einen Schwingkampf mit einem politischen Abstimmungskampf vergleichen. Wir
Schweizerinnen und Schweizer stimmen durchschnittlich viermal pro Jahr über ein oder mehrere Themen
ab. Vor einem Abstimmungssonntag wird mit Plakaten, Leserbriefen, Diskussionen und anderen
Werbeformen versucht, die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger für seine Argumente zu überzeugen. Am
Abstimmungssonntag zeigt sich dann, welche Seite gewonnen hat und mehr überzeugen konnte. Dabei
sind die Fronten immer wieder unterschiedlich und alle von uns kennen das – mal gehört man zu den
Siegern, mal zu den Verlierern. Das Resultat wird akzeptiert, auch wenn man verloren hat. So gehört es
sich. Doch das akzeptieren einer Volks- resp. Ständemehrheit bei einer Volksabstimmung bekommt leider
auch erste Risse. So tut sich eine Mehrheit des nationalen Parlaments immer schwieriger mit der
Umsetzung von nicht geliebten Volksentscheiden – ober man setzt gar nicht mehr um. Hier mu?ssen wir
Gegensteuer geben.
Was wir uns vom Kämpfen im Sägemehl als Schweizerinnen und Schweizer aber auch abschauen sollten,
ist die Kampfeslust. Die Bereitschaft, für sich und für sein Land in den Ring zu steigen. Zu kämpfen und
gewinnen zu wollen. Unsere Vorfahren sind für uns immer wieder in den Ring gestiegen – sei dies an
Schlachten oder zur Verteidigung des Landes in Kriegen. Oder an diplomatischen Tischen, um das Beste
für unser Land herauszuholen. Ich wünsche mir, dass unsere Diplomaten, die für uns z.B. in Brüssel
verhandeln gehen, diese Kampfeslust, dieses Feuer, mitnehmen. Nein, ich wünsche mir sogar, dass sie das
immer in sich tragen und bei den Verhandlungen an den Wyberhacken oder den Brienzer denken und so
das Beste für uns rausholen.
Liebe Festgemeinde
Das Schwingen kennt klare Regeln. Es ist geprägt von Respekt, Fairness, Bescheidenheit und Anstand. Sei
dies zu Beginn mit dem Handschlag, in der Mitte beim Kampf mit dem, was erlaubt ist und was nicht oder
am Schluss mit dem Abwischen des Sägemehls, dem Akzeptieren des Resultates und dem auf die
Schultern-Nehmens des Siegers durch seine Kollegen. Gerade deswegen ist das Schwingen bei uns auch so
beliebt – es sind diese Schweizer Tugenden, die uns gross gemacht haben und der Schwingsport vereint.
Der Respekt, der Anstand, die Bescheidenheit und die Fairness, aber auch die Kampfeslust und der Wille
zum Sieg waren unseren Vorfahren wichtig. Ich wünsche mir zum 1. August, dass wir diese
Schwingertugenden, ja diese Schweizertugenden uns wieder etwas mehr zu Herzen nehmen. Für uns. Fürs
Toggenburg. Für die Schweiz.
In dem Sinne wuünsche ich uns allen einen schönen 1. August!
Ich danke Ihnen.